Verschwinden, Fotografie und das Fantomatische in der zeitgenössischen französischen und italienischen Literatur

Projektleitung: Mag. Dr. Jutta Fortin
Laufzeit: 01.03.2010–30.09.2017
Fördergeber: FWF / Elise-Richter-Programm
Fördersumme: EUR 301.411,95

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Französische und italienische Erzähltexte der letzten drei Jahrzehnte werden vom Motiv des Verschwindens geprägt. Häufig beschäftigen sich zeitgenössische Autoren beinahe zwanghaft mit spektralen Figuren, deren textuelle (und oft auch fotografische) Anwesenheit in der Literatur paradoxerweise auf die Abwesenheit dessen hindeutet, wofür diese Figuren stehen und zugleich auf die Fähigkeit dieser Figuren hinweist, wieder aufzutauchen, sich in literarischer oder fotografischer Materie einzunisten und so das Verschwundene zu überleben. Dieses Projektaufbauend auf substantieller Forschungsarbeit zu einem Korpus von französischen Texten – geht davon aus, dass literarische Geisterfiguren in der französischen und italienischen Literatur, oft im Zusammenhang mit Fotografie, auf  historische oder individuelle traumatische Ereignisse zurückführbar sind. Um dieses Phänomen zu beleuchten, schlägt das Projekt drei spezifische, aber zusammenhängende Forschungslinien vor.

Die erste wird das Fantomatische als literarischen Modus (im Gegensatz zu den Modi des Thematischen und des Allegorischen) im Kontext von individuellem und historischem Trauma untersuchen und dabei André Greens psychoanalytisches Konzept der „toten Mutter“ (eine depressive Mutter, die in Wirklichkeit lebendig ist, aber in der psychischen Realität des Kindes tot ist) verwenden. Es wird angenommen, dass der Bezug auf die „tote Mutter“ und auf den „Tote Mutter“-Komplex eine Verinnerlichung von Verschwinden, Unterlegenheit und Schuld widerspiegelt und eine literarische Reaktion darauf darstellt.

Die zweite Forschungslinie wird das Fantomatische in Bezug auf die versteckte Anwesenheit eines Texts in einem anderen unter Verwendung von Theorien der Intertextualität analysieren. Von besonderem Interesse werden textuelle Verweise auf Mythen, Märchen und biblische Fragmente sein; denn es wird angenommen, dass solche Texte in besonderem Maße in einer bestimmten Kultur verankert sind und daher besonders gut dazu geeignet sind, andere Texte zu „besetzen“, während sie zugleich als kollektive transitionelle Objekte fungieren.

Die dritte Forschungslinie wird das Fantomatische auf die Fotografie beziehen, wobei Verweise auf Fotos in praesentia und in absentia, auf wirkliche und fiktive Fotografen sowie auf die Arbeitsabläufe der analogen und digitalen Fotografie untersucht werden sollen. Das Fantomatische wird hier als eine Spur von ruhendem Leben gesehen, welches vom fotografischen Bild wiedererweckt werden kann. Es wird angenommen, dass das Foto – wie das textuelle Fragment – die Fähigkeit besitzt, eine Abfolge von Bildern zu produzieren, einen Text zu „verstrahlen“ und als Bindeglied zwischen jetzt Anwesendem und Verschwundenem zu dienen.