Nachruf auf emer. O. Univ. Prof. Dr. Peter Wiesinger

emer. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Wiesinger (15.5.1938-23.06.2023) war einer der profiliertesten Sprachwissenschaftler Österreichs. Nach seiner Promotion 1965 nahm er eine Assistentenstelle am Forschungsinstitut für Deutsche Sprache – Deutscher Sprachatlas der Philipps-Universität Marburg/Lahn wahr, wo er sich 1969 habilitierte. Seine gedruckte, zweibändige Habilitationsschrift „Phonetisch-phonologische Untersuchungen zur Vokalentwicklung in den deutschen Dialekten“ hat sich bis heute als Standardwerk der Dialektologie etabliert. Von 1972 bis 2006 hatte er den Lehrstuhl für „Deutschen Sprache und Älteren deutschen Literatur“ am Institut für Germanistik der Universität Wien inne. 1983 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt, die ihn 1998 als wirkliches Mitglied aufnahm. Seit 2000 war er zudem Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste in Krakau, Polen. Er nahm Gastprofessuren u.a. an der University of Michigan in Ann Arbor, USA (1991) und 2001 an der Humboldt-Universität in Berlin wahr. Von 1995 bis 2000 war er Präsident der der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG), seit 2001 deren Ehrenpräsident. Im Jahr 2000 veranstaltete er ihren internationalen Kongress in Wien.

Professor Wiesingers besonde­re Forschungsbereiche waren u. a. Dialektologie und Varietätenlinguistik, Sprachgeschichte, Namen­kunde und Österreichisches Deutsch, in denen er grundlegende Arbeiten vorlegte. Seine fundamentalen Kenntnisse der deutschen Dialekte bilden noch im­mer einer der Grundlagen der Aufbereitung des Digitalen Wenkeratlasses (http:// www.regionalsprache.de), etwa durch seine umfassende, mit Elisabeth Bertol-Raffin erstellte „Bibliografie zur Grammatik der deut­schen Dialekte“, und mündeten 1983 in seiner berühmten „Einteilung der deutschen Dialekte“ im Handbuch Dialektologie. In seinen sprachgeschichtlichen Arbeiten hat sich Peter Wiesinger nicht nur mit diversen historischen Sprachstufen beschäftigt, sondern u.a. auch mit der Herausbildung der Standardsprache in Österreich. Seine Er­kenntnisse über die Annahme des mitteldeutschen Sprachstandards durch die Verordnungen Maria Theresias und Josephs II. haben wesentliche Erkenntnisse über den Verzicht des österreichi­schen Südens auf eine eigene Standardsprache hervorgebracht. Auf dem Gebiet der Namenkunde erschloss er die makrotoponymischen Ortsnamenschichten Öster­reichs und prägte den mittlerweile international verwendeten Terminus „indogermanisch-voreinzel­sprachlich“. Herausragend bleibt auch seine Herausgabe des „Historischen Ortsnamenbuches von Oberösterreich“.

Das Österreichische Deutsch nahm in den Arbeiten Peter Wiesingers immer eine besondere Stellung ein. Seine diesbezüglichen Untersuchungen zählen nach wie vor zu den Grundlagen des Faches und wurden in einem eigenen Sammelband („Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte“, 3. Aufl. 2014) zusammengefasst. Aber auch neuere Arbeiten werden in der Forschung nachhal­tig rezipiert. Prof. Wiesinger hat nicht nur in den maßgeblichen Zeitschriften unseres Faches publiziert, sondern war selbst Beirat in bedeutenden Publikationsorganen, etwa der „Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik“. Hervorgehoben soll auch seine beratende Tätigkeit am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, werden, der größten außeruniversitären Forschungseinrichtung zur deutschen Sprache.

Peter Wiesinger hat in seiner akademischen Lehre unzählige Hausarbeiten, Diplomarbeiten, Masterarbeiten und Dissertationen sowie acht Habilitationen betreut. Generationen von Studierenden und Nachwuchsforschenden verdanken ihm eine solide Ausbildung auf dem Gebiet der germanistischen Sprachwissenschaft, u. a. durch seine zehn Studienjahre hindurch abgehaltene Pflichtvorlesung „Einführung in die österreichische Mundartenkunde“.

Mit Prof. Peter Wiesinger verliert die Fakultät und das Institut für Germanistik ein tragendes Mitglied und einen großen Forschergeist.

 

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