emer. o. Univ.-Prof. Dr. Friederike Hassauer
Die Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät trauert um Friederike Hassauer, die am 2. Dezember 2021 kurz nach ihrem 70. Geburtstag verstorben ist. Mit ihr verliert die akademische Welt eine herausragende und international renommierte Romanistin und Literaturwissenschafterin. Die Fakultät wird ihr stets ein ehrendes Andenken bewahren.
In Gedenken an Friederike Hassauer (1951-2021)
Wer Friederike Hassauer aus dem Alltag der Universität Wien kannte, wo sie von 1991 an rund 30 Jahre lang die Professur für Romanische Philologie innehatte, wusste um ihre Unbeirrbarkeit und Kompromisslosigkeit. Sie zeigten sich in der Auseinandersetzung mit universitären Traditionen und Strukturen genauso wie bei der Zuteilung von Räumen und Ressourcen. Keine Auseinandersetzung war ihr zu beschwerlich, kein Thema zu banal, um nicht wortgewandt ausgefochten zu werden, egal ob mit Studierenden oder Kolleg/innen, im Privatissimum oder Plenum, in Universitätsgremien oder als korrespondierendes Mitglied in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ganz im Sinn dieser selbstbewussten Mentalität, die in der sozialpartnerschaftlich und männlich geprägten Universität Wien der 1990er Jahre mitunter fremd wirkte, attestierte ihr die fränkische Main-Post im Jahr 2000 eine „Jesus-Wut gegen konservative Strukturen“.
Wer Friederike Hassauer als Lehrende und Vortragende kannte, wusste aber, dass sie dieselbe Unbeirrbarkeit und Kompromisslosigkeit auch auf der intellektuellen Ebene an den Tag legte. Keine These, die nicht zigfach überprüft, keine Formulierung, an der nicht intensiv geschliffen, kein Gedankengang, der unfertig in den Äther geschickt wurde.
Zweifellos: Von Friederike Hassauer konnte man Denken und Argumentieren lernen, und wie! Wer bei Friederike Hassauer in die Lehre ging, profitierte von einer generösen Vordenkerin und Wissensvermittlerin, die ihre Schützlinge zuerst einmal aus den Niederungen des „Vor-lauter-Bäumen-keinen-Wald“-Sehens auf die Metaebene hievte und ihnen neue Perspektiven und Zusammenhänge eröffnete. Es galt, das Einzelphänomen im sozialen, kulturellen und historischen Kontext zu verstehen, Parallelen und Gegenbewegungen zu erkennen und einzuordnen. War dann zwischen den wild wuchernden Baumgruppen noch immer keine Lichtung auszumachen, mussten in gemeinsamen Prozessen neue Perspektiven eingenommen, neue historische Anker ausgeworfen werden. Auch hier scheute sie weder Mühen noch Auseinandersetzungen, zeigte sie sich als unbeirrbare und kompromisslose Denkerin und Rhetorikerin.
Dabei war die Karriere der am 29.11.1951 in Würzburg geborenen Tochter einer Juweliersfamilie zunächst mit zahlreichen Kompromissen gepflastert: Das Studium wurde ihr nicht verwehrt, jedenfalls aber dringend geraten, ein für Frauen geziemendes Fach zu wählen – französische Philologie und Literatur, ergänzt um Philosophie, Soziologie und Germanistik. Das Habilitationsprojekt wurde gutgeheißen, zugleich aber empfahl man der damals glühenden Feministin, es tunlichst nicht im Bereich der Gender Studies zu verorten, sondern ein politisch weniger anstößiges, kulturhistorisches Themenfeld zu bearbeiten.
Hassauer ging die Kompromisse ein und fand dennoch stets Mittel und Wege, bereichert aus ihnen hinauszugehen. Aus der behüteten Enge Würzburgs floh sie per Stipendium in die USA, machte 1975 an der Washington University St. Louis ihren Master und brachte außerdem die Begeisterung für Gender Studies sowie für die dort gelebte Form der universitären Lehre als interaktiven und intensiven Gedankenaustausch mit nach Hause. Sie wählte – nach einer Dissertation über die Fabel in der französischen Aufklärung an der Universität Bochum (Die Philosophie der Fabeltiere, 1986) – den ihr nahegelegten Weg einer Habilitationsschrift über den mittelalterlichen Jakobsweg an der Universität Siegen. Die entsprechende Monographie Santiago. Schrift – Körper – Raum – Reise (1993) kombinierte, für Hassauer typisch, traditionelle Epochen und Themen mit einem innovativen Theorierepertoire und lieferte ein Beispiel der frühen deutschen Rezeption Michel Foucaults.
Ab den 1980er Jahren war Hassauer weit über die romanistische Literaturwissenschaft hinaus ungewöhnlich produktiv: Sie forschte, lehrte und publizierte mit Herzblut – als Wissenschaftlerin mit deutlich theoretischem und interdisziplinärem Anspruch. Sie hielt sich so nie lange mit literarischen Einzelphänomenen oder -autoren/innen auf, sondern zielte stets auf umfassende kultur- und medientheoretische sowie wissenshistorische Kontexte. Historische Geschlechterordnungen und das weibliche Aufbegehren dagegen bildete dabei einen, aber beileibe nicht den einzigen roten Faden, der ihren Zugriff auf Texte exemplarisch deutlich machen kann: von ihren ersten mit Peter Roos verantworteten Bänden Félicien Rops: Der weibliche Körper – der männliche Blick (1984) und Straßen und Gesichter – Berlin 1930: Jean Giraudoux/Chas Laborde (1989) bis hin zu ihren letzten Sammelbänden Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelle des Femmes (Mithg. 2004) und Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der ‚Querelle des Femmes‘ zwischen Mittelalter und Gegenwart (2008).
Diese historische Breite und theoretische Reflexion brachte sie 1991 mit an die Wiener Romanistik, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 2021 wirkte. Im Massenbetrieb der Universität, den sie stets als notorisch unterfinanziert kritisierte, fand sie auch Dank überdurchschnittlich guter Ausstattung und besonders engagierter Mitarbeiter/innen ihre Mittel und Wege. Hier nahm sie die Rolle einer medial weit über ihr Fach und Wien hinaus wirkenden intellektuellen Vorreiterin und charismatischen Rhetorikerin ein, die in journalistischen Texten in Der Zeit genauso zu beeindrucken vermochte wie in wissenschaftlichen Beiträgen.
Die Wirkmacht der Worte war Friederike Hassauer stets bewusst und stets ihr wichtigstes Werkzeug. Sie hielt in Wien mit intellektuell anspruchsvollen und rhetorisch lebhaften Vorlesungen zu Literaturtheorie und -geschichte gegen breitenwirksamere Konkurrenzveranstaltungen und schuf mit ihren Seminaren zur spanischen und französischen Literaturwissenschaft und Kulturtheorie Denknischen mit großem Anspruch. Diese waren lange Zeit Anziehungsort für ausgewählte intellektuell ehrgeizige Studierende, weil sie nicht nur einen Zugewinn an Wissen, sondern auch an Reflexions- und Strukturierungsvermögen sowie sprachlich-konzeptueller Genauigkeit brachten.
So wie Hassauers zum Teil legendäre Auftritte machen auch die Publikationen, allen voran das Buch Textverluste – Eine Streitschrift (1992) und die publizierte Antrittsvorlesung Homo. Academica (1994), ihr Selbstverständnis als streitbare Intellektuelle deutlich. Wissenschaft war für sie immer eng an den öffentlichen Raum gebunden, sich aus Diskursen und Diskussionen herauszuhalten war für sie nie eine Option, weder innerhalb noch außerhalb des Elfenbeinturms, koste es was es wolle. Ein großer Anteil ihrer Streitlust und ihres Verlangens Platz auf gewichtigen Positionen und Gremien einzunehmen war dabei motiviert in dem Anliegen, die letzten akademischen Männerwelten der Nachkriegsjahrzehnte zu durchbrechen. So führte ihr Weg immer mehr in die Hochschul- und Wissenschaftspolitik, u.a. als langjährige Kuratorin der Volkswagenstiftung und als Mitglied der Strukturreformkommission der Universität Konstanz. Hassauer suchte dabei immer wieder den Kontakt zu wissenschaftspolitischen Verantwortlichen – vom Rektor bis zur Ministerin –, u.a. im Rahmen der österreichischen Universitätsreform der Koalition aus ÖVP und FPÖ in den frühen 2000er Jahren.
Mit den Jahren etablierte sich Hassauer an der Universität Wien zunehmend Nischen und Rückzugsorte. Gesundheitliche Probleme, institutionelle Konflikte, Enttäuschungen und Absenzen warfen gleichzeitig ihre Schatten über den Glanz und Elan der frühen Wiener Jahre.
Friederike Hassauer starb drei Tage nach ihrem 70. Geburtstag in ihrer Wahlheimat im fränkischen Marktheidenfeld. Sie mag als streitbare und streitlustige Zeitgenossin, als unbeirrbare und kompromisslose Kollegin im Gedächtnis bleiben, als eine, die ihre Freund- und Feindschaften mit derselben Intensität pflegte. Möge sie aber vor allem als intellektuelle Bereicherung in Erinnerung bleiben, für die Romanistik und den gesamten Wissenschaftsbetrieb. Denn Tatsache ist: Von Friederike Hassauer konnte man Denken und Argumentieren lernen, und wie!
Judith Hoffmann, Stephan Müller und Daniel Winkler